Sitzung: 26.09.2016 Rat der Samtgemeinde Elbtalaue
Beschluss: Einstimmig beschlossen
Abstimmung: Ja: 27, Enthaltungen: 3
Vorlage: 1/0792/2016/1
Der mittlerweile verstorbene Ratsherr Guhl hatte mit Datum vom
26.03.2016 den Antrag gestellt, für die Samtgemeinde Elbtalaue eine
Informationsfreiheitssatzung zu erlassen.
Die Verwaltung hat den Sachverhalt nunmehr abschließend geprüft und
kommt zu dem Ergebnis, dass der Erlass einer entsprechenden Satzung
rechtswidrig wäre.
Diesem Ergebnis liegen die folgenden rechtlichen Rahmenbedingungen
zugrunde.
Die aus der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie folgende
satzungsrechtliche Gestaltungsfreiheit aus § 10 Abs. 1 NKomVG ist der
gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit zwar grundsätzlich vergleichbar, reicht
aber nicht so weit wie diese. Dies wurde in der bisherigen Gesetzesfassung des
NKomVG ausdrücklich durch die Anforderung klargestellt, dass sich die
Gesetzgebung „im Rahmen der Gesetze“ zu bewegen hatte. Auch nach dem Entfall dieser
Passage gilt die Gesetzesbindung selbstverständlich weiterhin, weil auch die
kommunale Normsetzung als Verwaltungshandeln gem. Art. 20 Abs. 3 GG an Recht
und Gesetz gebunden ist.
Satzungen müssen daher nach dem Grundsatz des „Vorrangs der Gesetze“ aus Art. 20 Abs. 3 GG mit höherrangigem Recht
in Einklang stehen, sonst sind sie nichtig.
Dabei ist auch zu prüfen, ob die gesetzlichen Regelungen abschließend
und von daher einer abweichenden Regelung durch Satzung nicht zugänglich sind.
Der kommunale Gesetzgeber ist wie alle rechtssetzenden Organe verpflichtet, den
Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung zu beachten und hat deshalb
widersprüchliche Regelungen zu vermeiden.
Im vorliegenden Fall steht dem Erlass einer Informationsfreiheitssatzung
die Regelung § 58 Abs. 4 Satz 3 NKomVG entgegen.
Nach dieser Norm ist einzelnen Abgeordneten Einsicht in Akten zu
gewähren, wenn ein Viertel der Mitglieder der Vertretung oder eine Fraktion
oder Gruppe dies verlangt. Zudem müssen die Abgeordneten in diesen Fällen ein
„Überwachungsinteresse der Vertretung“ darlegen. Die Zulässigkeit abweichender
Regelungen, etwa durch Satzung, ist nicht normiert.
Mandatsträger, die immerhin demokratisch legitimiert und als Rat ein
Organ der Verwaltung sind, müssen demnach erst bestimmte formelle und
materielle Voraussetzungen erfüllen, damit Akteneinsicht gewährt werden darf.
Eine Informationsfreiheitssatzung stünde in diesem Punkt mit
höherrangigem Recht nicht im Einklang, weil Bürgern durch eine Satzung
weitergehende Rechte eingeräumt würden als gewählten Mandatsträgern durch
Gesetz. Dies ist nicht zulässig und würde zur Nichtigkeit der Satzung führen.
Die Nichtzulässigkeit einer solchen Regelung wurde zudem vom
Niedersächsischen Innenministerium in einem Schreiben vom 21.04.2016 an den
Landkreis Lüchow-Dannenberg (siehe Anlage zur Vorlage) sowie vom
Niedersächsischen Städte- und Gemeindebund (Herr Thiele) durch telefonische
Rücksprache bestätigt.
Nach der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur stehen
Satzungen aber auch unter dem „Vorbehalt
des Gesetzes“. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete
Gesetzesvorbehalt wird von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes in
der Wesentlichkeitstheorie dahingehend konkretisiert, dass der parlamentarische
Gesetzgeber in den grundlegenden normativen Bereichen, insbesondere im Bereich
der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen
hat.
Daraus folgt, dass es insbesondere für Eingriffe in Grundrechte einer
speziellen gesetzlichen Grundlage bedarf, die erkennen lässt, dass der
parlamentarische Gesetzgeber die Entscheidung entweder selbst getroffen oder
inhaltlich zumindest maßgeblich vorgeformt hat.
Im vorliegenden Fall soll eine Informationsfreiheitssatzung erlassen
werden. Dabei ist das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung
betroffen. Dieses Grundrecht hat das Bundesverfassungsgericht in einer
Entscheidung aus dem Jahr 1983 entwickelt (sog.
"Volkszählungsurteil", BVerfGE 65,1 [41]). Es verleiht dem Einzelnen
die Befugnis, grundsätzlich selbst zu bestimmen, wann und in welchem Umfang er
persönliche Lebenssachverhalte preisgeben möchte. Das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung ist Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das
durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes geschützt wird. Es
genießt daher Verfassungsrang und ist wesentliche Ausprägung der Menschenwürde
und der allgemeinen Handlungsfreiheit.
In dieses Grundrecht wird durch die Informationsfreiheitssatzung
eingegriffen, weil unter bestimmten Voraussetzungen personenbezogene Daten
durch Akteneinsicht preisgegeben werden können.
Solche Eingriffe sind zwar nicht grundsätzlich unzulässig, bedürfen aber
einer gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang
der Beschränkung klar ergeben. Außerdem muss der Gesetzgeber den
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten. Hierzu führt das
Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung aus: "Dieser mit
Verfassungsrang ausgestattete Grundsatz folgt bereits aus dem Wesen der Grundrechte
selbst, die als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers
gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur soweit beschränkt
werden dürfen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist.
Angesichts der (...) Gefährdungen durch die Nutzung der automatischen
Datenverarbeitung hat der Gesetzgeber mehr als früher auch organisatorische und
verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, welche der Gefahr einer
Verletzung des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken."
Die Anforderungen an derartige gesetzliche Grundlagen sind eingedenk der
Möglichkeiten der EDV mithin sehr hoch.
Die Rechtsgrundlage der allgemeinen kommunalrechtlichen Kompetenz zur
Regelung aller eigenen Angelegenheiten in § 10 NKomVG ist zwar ein formelles
Gesetz, reicht aber als Ermächtigungsgrundlage für den Eingriff in das
Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung im oben dargelegten Sinne nicht
aus, weil sie sich gar nicht mit der spezifischen Frage des Datenschutzes
befasst.
Die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Thematik in der Satzung
selbst reicht, wie oben dargelegt, ebenfalls nicht aus, weil sie kein formelles
Gesetz ist.
Aus diesem Grunde beruhen alle Informationsrechte von Bürgern auf einer
speziellen gesetzlichen Grundlage im förmlichen Gesetz, wie zum Beispiel das
Niedersächsische Umweltinformationsgesetz oder das Informationsfreiheitsgesetz
des Bundes.
Es fehlt nach Ansicht der Verwaltung also eine gesetzliche Grundlage,
die den Erlass einer Informationsfreiheitssatzung erlaubt und sich mit der
Frage des Datenschutzes befasst.
Fraglich war in diesem Zusammenhang jedoch, ob ggf. das Niedersächsische
Datenschutzgesetz einen entsprechenden rechtlichen Rahmen darstellen und die
Möglichkeit des bedingungslosen Zugangs für natürliche Personen zu
Verwaltungsakten gewähren könnte.
Die Verwaltung hat daher eine entsprechende Anfrage bei der
Landesbeauftragten für den Datenschutz gestellt. In Ihrem Antwortschreiben vom
23.06.2016 (siehe Anlage zur Vorlage), in dem sie leider nicht auf alle Detailfragen
der Verwaltung eingegangen ist, hat sie aber dennoch bestätigt, dass das
Niedersächsische Datenschutzgesetz keine Vorschriften hinsichtlich des
Informationszugangs, sondern in seinem § 16 lediglich das Akteneinsichts- und
Auskunftsrecht Betroffener regelt.
Auch das Niedersächsische Datenschutzgesetz enthält daher keinen
formalgesetzlichen Rahmen für den bedingungslosen Zugang zu behördlichen
Informationen durch jede natürliche Person.
Da andere formalgesetzliche Regelungen nicht existent sind, würde der
Erlass einer Informationsfreiheitssatzung also auch gegen den Grundsatz des
Vorbehalts der Gesetze verstoßen und auch aus diesem Grunde rechtswidrig sein.
Der Erlass einer Informationsfreiheitssatzung ist daher insgesamt nicht
zulässig.
Fachbereichsleiter Rhode trägt den Sachverhalt vor.
Ohne Aussprache fasst der Rat der Samtgemeinde Elbtalaue folgenden
Beschluss:
Der Erlass einer
Informationsfreiheitssatzung wird abgelehnt.