Betreff
Erlass einer Informationsfreiheitssatzung (Antrag Ratsherr Guhl)
Vorlage
1/0712/2016/1
Art
Beschlussvorlage

Sachverhalt:

Der mittlerweile verstorbene Ratsherr Guhl hatte mit Datum vom 26.03.2016 den Antrag gestellt, für die Stadt Hitzacker (Elbe) eine Informationsfreiheitssatzung zu erlassen.

 

Die Verwaltung hat den Sachverhalt nunmehr abschließend geprüft und kommt zu dem Ergebnis, dass der Erlass einer entsprechenden Satzung rechtswidrig wäre.

 

Diesem Ergebnis liegen die folgenden rechtlichen Rahmenbedingungen zugrunde.

 

Die aus der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie folgende satzungsrechtliche Gestaltungsfreiheit aus § 10 Abs. 1 NKomVG ist der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit zwar grundsätzlich vergleichbar, reicht aber nicht so weit wie diese. Dies wurde in der bisherigen Gesetzesfassung des NKomVG ausdrücklich durch die Anforderung klargestellt, dass sich die Gesetzgebung „im Rahmen der Gesetze“ zu bewegen hatte. Auch nach dem Entfall dieser Passage gilt die Gesetzesbindung selbstverständlich weiterhin, weil auch die kommunale Normsetzung als Verwaltungshandeln gem. Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden ist.

 

Satzungen müssen daher nach dem Grundsatz des „Vorrangs der Gesetze“ aus Art. 20 Abs. 3 GG mit höherrangigem Recht in Einklang stehen, sonst sind sie nichtig.

 

Dabei ist auch zu prüfen, ob die gesetzlichen Regelungen abschließend und von daher einer abweichenden Regelung durch Satzung nicht zugänglich sind. Der kommunale Gesetzgeber ist wie alle rechtssetzenden Organe verpflichtet, den Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung zu beachten und hat deshalb widersprüchliche Regelungen zu vermeiden.

 

Im vorliegenden Fall steht dem Erlass einer Informationsfreiheitssatzung die Regelung § 58 Abs. 4 Satz 3 NKomVG entgegen.

 

Nach dieser Norm ist einzelnen Abgeordneten Einsicht in Akten zu gewähren, wenn ein Viertel der Mitglieder der Vertretung oder eine Fraktion oder Gruppe dies verlangt. Zudem müssen die Abgeordneten in diesen Fällen ein „Überwachungsinteresse der Vertretung“ darlegen. Die Zulässigkeit abweichender Regelungen, etwa durch Satzung, ist nicht normiert.

 

Mandatsträger, die immerhin demokratisch legitimiert und als Rat ein Organ der Verwaltung sind, müssen demnach erst bestimmte formelle und materielle Voraussetzungen erfüllen, damit Akteneinsicht gewährt werden darf.

 

Eine Informationsfreiheitssatzung stünde in diesem Punkt mit höherrangigem Recht nicht im Einklang, weil Bürgern durch eine Satzung weitergehende Rechte eingeräumt würden als gewählten Mandatsträgern durch Gesetz. Dies ist nicht zulässig und würde zur Nichtigkeit der Satzung führen.

 

Die Nichtzulässigkeit einer solchen Regelung wurde zudem vom Niedersächsischen Innenministerium in einem Schreiben vom 21.04.2016 an den Landkreis Lüchow-Dannenberg (siehe Anlage) sowie vom Niedersächsischen Städte- und Gemeindebund (Herr Thiele) durch telefonische Rücksprache bestätigt.

 

Nach der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur stehen Satzungen aber auch unter dem „Vorbehalt des Gesetzes“. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Gesetzesvorbehalt wird von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes in der Wesentlichkeitstheorie dahingehend konkretisiert, dass der parlamentarische Gesetzgeber in den grundlegenden normativen Bereichen, insbesondere im Bereich der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen hat.

 

Daraus folgt, dass es insbesondere für Eingriffe in Grundrechte einer speziellen gesetzlichen Grundlage bedarf, die erkennen lässt, dass der parlamentarische Gesetzgeber die Entscheidung entweder selbst getroffen oder inhaltlich zumindest maßgeblich vorgeformt hat.

 

Im vorliegenden Fall soll eine Informationsfreiheitssatzung erlassen werden. Dabei ist das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen. Dieses Grundrecht hat das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung aus dem Jahr 1983 entwickelt (sog. "Volkszählungsurteil", BVerfGE 65,1 [41]). Es verleiht dem Einzelnen die Befugnis, grundsätzlich selbst zu bestimmen, wann und in welchem Umfang er persönliche Lebenssachverhalte preisgeben möchte. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes geschützt wird. Es genießt daher Verfassungsrang und ist wesentliche Ausprägung der Menschenwürde und der allgemeinen Handlungsfreiheit.

 

In dieses Grundrecht wird durch die Informationsfreiheitssatzung eingegriffen, weil unter bestimmten Voraussetzungen personenbezogene Daten durch Akteneinsicht preisgegeben werden können.

 

Solche Eingriffe sind zwar nicht grundsätzlich unzulässig, bedürfen aber einer gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkung klar ergeben. Außerdem muss der Gesetzgeber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten. Hierzu führt das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung aus: "Dieser mit Verfassungsrang ausgestattete Grundsatz folgt bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst, die als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur soweit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist. Angesichts der (...) Gefährdungen durch die Nutzung der automatischen Datenverarbeitung hat der Gesetzgeber mehr als früher auch organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, welche der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken."

 

Die Anforderungen an derartige gesetzliche Grundlagen sind eingedenk der Möglichkeiten der EDV mithin sehr hoch.

 

Die Rechtsgrundlage der allgemeinen kommunalrechtlichen Kompetenz zur Regelung aller eigenen Angelegenheiten in § 10 NKomVG ist zwar ein formelles Gesetz, reicht aber als Ermächtigungsgrundlage für den Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung im oben dargelegten Sinne nicht aus, weil sie sich gar nicht mit der spezifischen Frage des Datenschutzes befasst.

 

Die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Thematik in der Satzung selbst reicht, wie oben dargelegt, ebenfalls nicht aus, weil sie kein formelles Gesetz ist.

 

Aus diesem Grunde beruhen alle Informationsrechte von Bürgern auf einer speziellen gesetzlichen Grundlage im förmlichen Gesetz, wie zum Beispiel das Niedersächsische Umweltinformationsgesetz oder das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes.

 

Es fehlt nach Ansicht der Verwaltung also eine gesetzliche Grundlage, die den Erlass einer Informationsfreiheitssatzung erlaubt und sich mit der Frage des Datenschutzes befasst.

 

Fraglich war in diesem Zusammenhang jedoch, ob ggf. das Niedersächsische Datenschutzgesetz einen entsprechenden rechtlichen Rahmen darstellen und die Möglichkeit des bedingungslosen Zugangs für natürliche Personen zu Verwaltungsakten gewähren könnte.

 

Die Verwaltung hat daher eine entsprechende Anfrage bei der Landesbeauftragten für den Datenschutz gestellt. In Ihrem Antwortschreiben vom 23.06.2016 (siehe Anlage), in dem sie leider nicht auf alle Detailfragen der Verwaltung eingegangen ist, hat sie aber dennoch bestätigt, dass das Niedersächsische Datenschutzgesetz keine Vorschriften hinsichtlich des Informationszugangs, sondern in seinem § 16 lediglich das Akteneinsichts- und Auskunftsrecht Betroffener regelt.

 

Auch das Niedersächsische Datenschutzgesetz enthält daher keinen formalgesetzlichen Rahmen für den bedingungslosen Zugang zu behördlichen Informationen durch jede natürliche Person.

 

Da andere formalgesetzliche Regelungen nicht existent sind, würde der Erlass einer Informationsfreiheitssatzung also auch gegen den Grundsatz des Vorbehalts der Gesetze verstoßen und auch aus diesem Grunde rechtswidrig sein.

 

Der Erlass einer Informationsfreiheitssatzung ist daher insgesamt nicht zulässig.

 

 

 


Beschlussvorschlag:

Der Erlass einer Informationsfreiheitssatzung wird abgelehnt.